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AKUELLE ERWEITERUNG (Dezember 2016):

Durch die Sexualstrafrechtsreform in diesem Jahr sind zu den für § 72a relevanten Straftaten zwei weitere hinzugekommen:
§ 184i Sexuelle Belästigung
§ 201a (3) Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen.
Bitte sorgen Sie dafür, dass dies zukünftig bei der Einsichtnahme berücksichtigt wird.

 

Erweitertes Führungszeugnis im Musikverein: wer, wann, wo, wie?

 

BKS Autobahntafel

Mit Beginn des Jahres 2012 wurde das Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG) eingeführt. Seitdem ist es unter bestimmten Umständen auch für Ehrenamtliche notwendig ein erweitertes Führungszeugnis vorzulegen, wenn sie sich in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen engagieren. Mittlerweile setzen immer mehr Jugendämter das Gesetz um. Für Musikvereine birgt dies einige große Herausforderungen.

 

Das Bundeskinderschutzgesetz soll den Schutz von Kindern und Jugendlichen (bis zum Erreichen der Volljährigkeit) regeln und in wesentlichen Teilen verstärken. Dazu hat der Gesetzgeber Änderungen und Einfügungen in bestehenden Gesetzen vorgenommen. Für Musikvereine ergeben sich durch einige tiefgreifende Änderungen im Kinder- und Jugendhilfegesetz (Sozialgesetzbuch VIII) konkrete Auswirkungen auf die Vereinspraxis. Dies betrifft vor allem die §§ 8a und 72a SGB VIII. Die Umsetzung erfolgt auf der lokalen Ebene durch die Jugendämter vor Ort.

Der Gesetzgeber möchte mit den Änderungen einen Beitrag zur Prävention von Kindeswohlgefährdung leisten. Daher ist es für Musikvereine wichtig, sich mit diesem Begriff auseinander zu setzen. Beim Begriff der Kindeswohlgefährdung handelt es sich um einen sogenannten unbestimmten Rechtsbegriff. Das bedeutet, dass es keine klare Abgrenzung von Kindeswohlgefährdung gibt. Stattdessen ist der Begriff präventiv (also vorbeugend) zu verstehen: ist eine gegenwärtige oder bevorstehende Gefahr für die Kindesentwicklung abzusehen, die ohne Eingreifen eine Schädigung (körperlich, geistig, seelisch) des Kindes befürchten lässt, spricht man allgemein von einer Kindeswohlgefährdung. So werden hierbei drei Hauptformen unterschieden:

  • Vernachlässigung
  • psychische oder physische Gewalt
  • sexualisierte Gewalt (Missbrauch).

Ist eine dieser Gefährdungslagen erkannt, so muss zum Schutz des Kindes eingegriffen werden. Diesen Schutzauftrag regelt der §8a im Kinder- und Jugendhilfegesetz. Hier ist festgehalten, dass es im Falle von Hinweisen auf eine Gefährdung des Kindeswohls verpflichtend ist, das Jugendamt zu informieren und eine insofern erfahrene Fachkraft hinzuzuziehen.

Der Gesetzgeber hat mit dem §8a klargestellt, dass Ehrenamtliche keine Fachkräfte für den Kinderschutz sind und die Gefährdungseinschätzung somit nicht allein machen müssen und sollen bzw. dürfen. Zugleich ist klar, dass das Jugendamt informiert werden muss. Gemeinsam mit einer insofern erfahrenen Fachkraft (welche Personen diese Qualifikation haben, ist über das jeweilige Jugendamt vor Ort zu klären) wird dann die Gefährdungseinschätzung vorgenommen, die gesetzlich festgeschrieben ist.

Der Schutzauftrag gilt immer und für jede/n. Dies bezieht Verdachtsfälle ein, die sich im Verein ergeben. Zugleich muss reagiert werden, wenn eine Gefährdung durch Dritte (z.B. in Schule, Familie oder Freundeskreis) befürchtet wird. Für Ehrenamtliche ist es oft nicht leicht zu entscheiden, wann ein begründeter Verdachtsfall vorliegt. Entscheidend ist hier oft das vielzitierte Bauchgefühl. Dies allerdings lässt sich ein Stück weit erlernen, denn wie sich Verdachtsfälle äußern können, wie Täter_innenstrategien aussehen und was Anzeichen einer Gefährdung sein können, lässt sich ebenso darlegen, wie pädagogische Grundlagen wie sie zum Beispiel in der Juleica-Schulung vermittelt werden.

Die Deutsche Bläserjugend weist an dieser Stelle auf die Bedeutsamkeit der Juleica (Jugendleiter_in-Card) hin und empfiehlt, dass mindestens eine Person je Verein solch eine Qualifikation besitzt. In Bezug auf das Erkennen einer Kindeswohlgefährdung empfehlen wir den Vereinen die DBJ-Broschüre „Verantwortungsvoll für starke Persönlichkeiten! – das Praxishandbuch“.
Sie kann hier online eingesehen und heruntergeladen werden, ist aber auch bei den DBJ-Mitgliedsverbänden vorrätig.

 

Um bereits im Vorfeld auszuschließen, dass es in unseren Strukturen Personen gibt, die wegen kindeswohlgefährdenden Verhaltens verurteilt sind, hat der Gesetzgeber im §72a im Kinder- und Jugendhilfegesetz den „Tätigkeitsausschluss einschlägig vorbestrafter Personen“ geregelt. Hier ist eine eindeutige Liste von Straftaten dokumentiert. Wer wegen einer oder mehrerer dieser Straftaten verurteilt ist, darf keinen Kontakt zu Kindern und Jugendlichen haben, weder im Musikverein noch bei anderen öffentlichen oder freien Trägern. 

Um den Tätigkeitsausschluss umzusetzen, sollen Vereinbarungen zwischen Jugendamt und Verein abgeschlossen werden. Der Ausschluss wird über die Einsicht in erweiterte Führungszeugnisse (auch) von ehrenamtlich in der Kinder- und Jugendhilfe tätigen Personen sichergestellt. Der Gesetzgeber hat gesetzlich klar geregelt, dass die Jugendämter aktiv auf die Vereine zugehen sollen, um eine Vereinbarung zu initiieren. Die Vereine selbst müssen erst aktiv werden, wenn das Jugendamt auf sie zukommt.

„Ehrenamtlich“ bedeutet dabei, dass die Tätigkeit unentgeltlich ausgeübt wird bzw. nur Auslagenersatz bzw. eine Aufwandsentschädigung gezahlt wird. Zudem bedeutet Ehrenamt die Übernahme einer klaren Funktion oder Aufgabe, die eigenverantwortlich ausgeführt wird. Der §72a Kinder- und Jugendhilfegesetz gilt zudem nur für Ehrenamtliche, die im Verein Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe übernehmen, also, wenn sie Kinder beaufsichtigen, betreuen, erziehen oder ausbilden oder einen vergleichbaren Kontakt haben.

Diese Aufgaben müssen zudem öffentlich finanziert werden. Fließt kein öffentliches Geld (z.B. vom Jugendamt oder von Landesmusikjugenden), so findet das Gesetz keine Anwendung und hebt sich damit ausdrücklich von rein privaten (z.B. allein durch Elternbeiträge oder Sponsoren finanzierte) Maßnahmen ab. Das Gesetz greift auch nicht per se mit der Ausstellung einer Juleica, die an sich noch kein Grund zur Einsicht in das erweiterte Führungszeugnis ist. Genaueres regelt oft die Vereinbarung mit dem Jugendamt.

Wie kommen Vereine nun zu einer Vereinbarung mit dem Jugendamt? Die Vereinbarung soll auf Augenhöhe in einem Aushandlungsprozess zwischen Jugendamt und Verein entstehen und muss durch den Jugendhilfeausschuss beschlossen werden. Meist orientieren sich Jugendämter beim Entwurf an Empfehlungen, die z.B. vom Landesjugendhilfeausschuss kommen. Eine Übersicht über den Sachstand in den Bundesländern hat der Deutsche Bundesjugendring zusammengestellt. Sie ist hier: "Kinderschutz in den Bundesländern" zu finden.

Erst nachdem beide Seiten, Verein und Jugendamt, unterschrieben haben, ist die Vereinbarung wirksam und alles (!) was drin steht muss dann umgesetzt werden. Daher sollte in der Vereinbarung eine möglichst eindeutige Liste aller Aktivitäten und Maßnahmen, die üblicherweise im Verein vorkommen und einen qualifizierten Kontakt zu Kindern und Jugendlichen beinhalten, enthalten sein. Dieser Kontakt bemisst sich anhand der drei Kriterien Art, Dauer und Intensität. Das bedeutet, dass es keine generelle Pflicht für ein Führungszeugnis in Abhängigkeit von der Maßnahme selbst gibt, sondern dass immer die Tätigkeit dort entscheidend ist. 

Zudem sollte geregelt sein, welche Bedingungen für die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses gelten und wo vor Antritt der Tätigkeit erweiterte Führungszeugnisse eingesehen werden bzw. von wem im Verein. Einsichtnahme bedeutet hierbei auch nur das Ansehen. Das Führungszeugnis darf nicht im Verein verbleiben, auch eine Ablage im Jugendamt ist nicht zulässig. Zuständig für die Vereinbarung ist immer das Jugendamt am Sitz des Vereins.

Ehrenamtlich Tätige sind von der Gebühr für das erweiterte Führungszeugnis befreit. Es muss ein Formular für die Befreiung eingereicht werden, das hier zu finden ist.

Ein entsprechendes Merkblatt findet sich hier:

Ist im Führungszeugnis ein im Sinne von §72a Kinder- und Jugendhilfegesetz relevanter Eintrag zu finden, so darf der Person kein qualifizierter Kontakt zu Kindern und Jugendlichen gewährt werden. Aufgrund eventuell anderer Einträge darf die Person jedoch nicht von der Arbeit im Musikverein ausgeschlossen werden.

Die Einsichtnahme in erweiterte Führungszeugnisse ersetzt jedoch in keiner Weise einen ganzheitlichen Präventionsansatz. Führungszeugnisse sind keine Präventionsinstrumente und schaffen nur eine trügerische Sicherheit. Es kann daher maximal ein Teil einer guten Präventionsarbeit sein. Für die DBJ ist ein möglichst umfassender Schutz von Kindern und Jugendlichen nur durch präventive Gesamtstrukturen leist- und umsetzbar. Wie dies aussehen könnte, haben wir als Deutsche Bläserjugend in unserer Broschüre „Verantwortungsvoll für starke Persönlichkeiten! – das Praxishandbuch“ (s.o.) dargelegt.

Aktuell läuft die Evaluation des BKiSchG. Änderungen im Gesetz sowie bei der zukünftigen Vorgehensweise sind daher in nächster Zeit möglich und wahrscheinlich, aber nicht sicher.

Für Rückfragen:
Matthias Laurisch, Referent für Bildung und Jugendpolitik bei der Deutschen Bläserjugend in Berlin, ✆ 030 / 20 64 91 65, Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Stand:
22.07.2015

Literaturhinweise:
Arbeitshilfe des Deutschen Bundesjugendrings zu Führungszeugnissen für Ehrenamtliche: www.zumlink.de/DBJR